IG POP

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DAS IG POP MANIFEST DER PREKARI-ART

Hinter dem Schein reichweitenstarker TikTok-Stars und unter dem Staub
hypersubventionierter staatlicher Theater und Orchesterbetriebe befindet sich
eine Unterschicht – eine sich abstrampelnde Substanz an Idealisten,
die mit E-Gitarren und Laptops versuchen zu überleben:
Freie Pop-Worker – niemandem zugehörig, in niemandes Zuständigkeitsbereich.
Kein Orchesterdienst, kein gutgelaunter Algorithmus.

IST DAS ARBEIT – POP?

Grundsatzfrage. Unangenehm.
Und dann folgt auch noch ein ganzer Grundsatzfragenkatalog:
Wer vertritt die Poparbeiterklasse?
Verbietet sich ein solch solidarisches „Wir“, wenn doch das Streben
nach Individualität mitunter den höchsten Stellenwert in Popfragen hat?
Wer zahlt?
Wo zwischen Businessplan, Orchesterdienst und Antragsbürokratie
ist Platz für wildes Denken und Fantastisches?

Und dann dreht sich dieses Fragenkarussell auch noch umgekehrt:
Ist Arbeit Pop?
Schließlich wird mittlerweile auch von Angestellten eine gute Performance
verlangt und Influencende ästhetisieren ihren Alltag hauptberuflich.

Narrative von brotloser Kunst und Geniekult halten sich penetrant,
die GEMA teilt Musik immer noch stur und naiv in die Lager „Ernst“
und „Unterhaltung“ und je nachdem, ob man in der Jugendmusikschule Geige
oder Keyboard gelernt hat, soll man später Logiken von Subvention oder
freier Marktwirtschaft folgen.
Wer denkt sich sowas aus???????
Und wer besteht darauf, dass das für immer so bleibt???
Wo ist endlich ein zeitgemäßer Weg für zeitgemäße Kunst,
abseits marktradikaler Euphorie und staubiger Antrags- und Subventionslogik?

Mit freiem kreativem Schaffen und Berufung hat dieser „Beruf“
über weite Strecken nicht viel zu tun.
Jede kreative Aktivität wird zwangsläufig von einem gigantischen Mehr
an unkreativer Aktivität begleitet.
Folgen, liken, posten, beantragen, erklären, kalkulieren bis man dann,
jeglicher Inspiration beraubt, der eigentlichen Arbeit – Kunst schaffen –
nachgehen kann.
Leider allerdings dann zu so schlechten Bedingungen und geringen
Honoraren, dass man hier nicht mal von Ehrenamt sprechen möchte.
In vielen Fällen verdient man nichts –
weiß nur niemand, kriegt keiner mit.
Dauerstudentenlifestyle, Hartz 4 als Stipendium,
Toast mit Scheiblettenkäse als Lebensmotiv.
Der Pop-Beruf ist ein teures Hobby.
Pay to play – ein echter Klassiker.
Ebenso klassisch: Das an dieser Stelle gern aufgeführte Gegenargument
– das alles sei ja nicht neu – Kunst sei schon immer ein prekäres Feld,
irgendwas mit Dachstuben, irgendwas mit Romantik.
Na und wenn schon?
Um so erschütternder, dass sich an diesen Missständen
bis heute nichts geändert hat!

Paradoxerweise sind wir häufig in mit horrenden Summen
subventionierten künstlerischen Studiengängen ausgebildet worden
und zwar um: – man höre und staune – Künstlerinnen zu werden!

Die Gesellschaft leistet sich Leute wie uns, trotz Stapelkrise
und marodem Bildungssystem. Sie vergibt den Auftrag, Utopien zu entwerfen,
Fantastisches erfahrbar zu machen, das Verbindende und Identitätsstiftende
zu betonen, nach Relevanz, Erkenntnis und Bedeutung zu streben.

Haben uns also Professionalisierung und Akademie
zu freien Kunstschaffenden gemacht?

Die Pop-Gewerkschaft singt im Chor:

NEIN ! NEIN ! NEIN !

Zu Querfinanziererinnen haben sie uns gemacht; zu prekären CEOs
unserer einsamen und dysfunktonalen Empires! Schlimmer noch:
zu Kleinstunternehmern und Solo-Selbstständigen.
Denn das „frei“ bezieht sich nicht auf Freiheit der Kunst.
Frei bezieht sich lediglich auf den Preis, den man uns dafür zahlt.

Wir wollen hochambitionierte und herausragende Kunst schaffen.

Wir sind keine Dienstleister!

Wir sind keine Designer!

Wir sind keine Artisten!

Wir sind keine Aushängeschilder!

Wir sind nicht verfügbar!

Wir streben nach Bedeutung, nicht nach Fame!

Wir arbeiten an Prozessen, nicht in Projekten!

Wir pitchen nicht, wir intonieren!

Wir sind nicht berechenbar, sind algo-a-rhythmisch!

Wir berieseln nicht, wir fordern auf!

Wir lösen keine Probleme, wir beschreiben sie!

Wir agieren aus den Nischen mitten rein in die Zentren!

Eindimensionale Lebenswege wie Karriereleitern
sind zu schmalspurig für Kunst!

ABER POP HEISST DOCH POPULÄR –
WER WILL SICH DA BESCHWEREN ?

Ja und Fensterputzer heißt jetzt auch Visions Clearance Manager!

Selbstausbeutung ist eben auch Ausbeutung!

Der Marktwert darf nicht die Grenzen des Denkbaren definieren!

Also raus da!

Wir plädieren auf Freispruch!

Raus aus dem Diktat der Kreativwirtschaft!

Wir stellen uns entschieden gegen die Privatisierung unserer Kunst!

Auch uns Popmusikschaffern muss es möglich sein,
sich von den kunstfeindlichen Vereindeutigungs-Logiken
des „freien“ Marktes zu entkoppeln!

Das darf kein Privileg sogenannter Hochkultur bleiben.

Wieso muss man Geige oder Pauke spielen,
um vom Staat als Musikerin bezahlt zu werden?
Wieso sind die Kulturbetriebe nicht auch Freiräume für Popkultur?
Wieso versteht man sich offensichtlich immer noch als die „eigentliche“
Kultur, die ein völlig unverhältnismäßiges Mehr an Geldern beansprucht?
Und wieso wird den sogenannten freien Szenen jeder Cent
(und davon gibts nicht viele) rumgedreht, während die großen Häuser
mit Geldern teilweise dermaßen verschwenderisch umgehen,
dass einem schwindelig wird?

AUF, AUF … ! VOM FÖRDERN UND FORDERN

Subventionierte Kulturinstitutionen wie Staatstheater und Orchester
müssen uns teilhaben lassen, ihre Spielräume für uns öffnen,
Zugänge zu ihren Ressourcen und Strukturen schaffen.

Kulturförderung muss komplett neu gedacht werden:

*Das Beantragen: Eine Art hyper-bürokratisches Mensch-ärgere-dichnicht-Spiel,
dessen Regeln sich darauf beschränken, geschickt Buzzwords
(interdisziplinär, inklusiv, nachhaltig) aneinanderzuhängen und dabei
der Agenda des ausschreibenden Kulturbetriebs möglichst hochgestochen
nach dem Maul zu reden.

Schluss mit dem Antragssudoku!

Nicht nur Pop an sich muss als selbstverständlicher Teil
der Kulturlandschaft anerkannt werden, sondern auch marktwirtschaftlich
dysfunktionale Popkultur hat im Sinne kultureller Vielfalt dringenden Bedarf,
geschützt und unterstützt zu werden.

Dabei brauchen wir langfristige Förderung
von Menschen und nicht von Projekten!
Das kostet nicht nur Geld, das kostet vor allem Vertrauen!

Kofinanzierungszwänge dürfen nicht die Regel sein!
Denn: wer hat, der kriegt. Das gilt auch beim Fördermonopoly.

Wir brauchen eine Entbürokratisierung der Kulturförderung!
„Wer Kultur sagt, sagt auch Verwaltung“ –
wie lange muss man Adorno noch zitieren?
Kreativität ist nicht planbar. Sie lebt, verändert sich,
man muss um sie ringen. Das ist in Exceltabellen nicht darstellbar.

UND ZUM SCHLUSS NOCHMAL ALLE ZUSAMMEN :  1 , 2 , 3 , 4 …

Wir müssen Habitate schaffen, in denen mit den Mitteln von Pop und Kunst
frei geforscht, experimentiert und kreativ gearbeitet werden kann.
Räume für nicht-kommerzielle Popkultur – für einen Verbund von Bildern
und Beats – der an Szenen gekoppelt, interessiert an Gesellschaft und
Politik, risikobereit und künstlerisch ambitioniert ist. Überlebensstrategien
für professionelle Zwischendenstühlensitzerinnen und Forschergeister.
Institute für freie Popmusik, Enklaven in bestehenden Strukturen
wie Theatern und Orchestern, Pionierprojekte wie ein Grundeinkommen
für Kunstschaffende (oder gleich für alle), Modelle wie das in Frankreich
längst etablierte „Intermittent du spectacle“ etc.
Wenn uns etwas an kultureller Vielfalt gelegen ist, müssen wir utopisches
Denken gestatten und vor allem handeln!

Sonst machen wir doch noch das, was unsere Omas längst wussten:
einen richtigen Job lernen. Dann ruft die Gewerkschaft auf
zum großen Pop-Streik und wir überlassen euch dem degenerierten Maul
von ChatGPT und seinen Freunden! Und die spucken euch dann in Dauerschleife
einen generischen Pop ins Gesicht, gegen den Bohlen und seine Superstars
wirken werden wie richtig geile Kunst. Versprochen!

Solidarische Grüße eure IG POP

Die IG POP ist Bündnis und Gewerkschaft für Popkultur.
Die Mannheimer IG POP Gewerkschaftstreffen
finden 1 x im Monat im Roten Ochsen statt.
Wer sich solidarisieren will, kann sich hier melden:

info@davidjuliankirchner.de

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